Hörende und Nichthörende am Arbeitsplatz
Im Zuge meiner langjährigen Arbeit mit gehörlosen Menschen und deren hörenden Umfeld weiß ich, dass es immer wieder zu Konflikten und Missverständnissen im Miteinander kommt. Nicht selten triggern Traumata aus der Kindheit die Gehörlosen im späteren Berufsleben. Ein Beispiel dazu ist der 29jährige Adrian. Er berichtete mir von seinen alltäglichen Problemen in seinem Beruf als Maler. Niedergeschlagenheit, Gereiztheit und Lustlosigkeit waren Ausgangspunkt, sich bei mir Hilfe zu holen. Im Laufe seiner Therapie stellte sich heraus, dass Adrian in einem hörenden Umfeld aufgewachsen war, in dem er sich seit früher Kindheit von alltäglichen Gesprächen ausgeschlossen gefühlt hatte. Der kleine Adrian wusste sich damals nicht zu helfen und war zu dieser Zeit traurig und einsam. Mit Hilfe der Therapie erkannte der heutige Adrian, dass er nun sehr wohl in der Lage war, sich bei seinen hörenden Kollegen zu integrieren. Gemeinsam erarbeiteten wir dazu Strategien und Handlungsmöglichkeiten. So erklärte Adrian seinen Kollegen unter anderem, dass sie durch Betätigen des Lichtschalters seine Aufmerksamkeit erhalten, und er dann das deutlich Gesprochene von deren Lippen ablesen konnte. Auch wenn sich seine Kollegen das einmal nicht gemerkt hatten, wertete Adrian dies nicht als Bösartigkeit. So können bereits kleine Verhaltungsänderungen rasch zu einer Verbesserung der Befindlichkeit im Alltag führen. Darüber hinaus werden frühe Traumata bearbeitet und weitere Kränkungen vermieden.
Ein weiteres gutes Beispiel ist die 40jährige Sandra, die in einem Großraumbüro arbeitet. Sie ist resthörig und kann mit ihren Hörgeräten im Idealfall Sprache verstehen. Da jedoch ihre Arbeitskolleginnen Sandra nicht immer das Gesicht zuwandten und auch meist Störgeräusche präsent waren, verstand sie deren Sprache nicht und erlebte dadurch, dass sie ausgeschlossen wurde. Auch in ihrem Fall werden Traumata aus der Kindheit reaktiviert, wodurch ganz stark das Gefühl entsteht, alle Hörenden verhalten sich ihr gegenüber gleich. Beobachtungen, dass die Kolleginnen sich untereinander gut verstehen, gemeinsam Kaffee trinken und plaudern, führten dazu, dass sich Sandra über deren „Nichtstun“ in Arbeitspausen immer mehr ärgerte. Im Laufe der Therapie erkannte sie jedoch, dass hinter ihren Anschuldigungen ein starkes Gefühl der Traurigkeit vorhanden war, weil sie an diesen Gesprächen nicht teilhaben konnte. Nachdem sich Sandra ihrer Wünsche nach Zugehörigkeit und Verbundenheit im Zuge der Therapie immer mehr bewusst wurde, schaffte sie es mit der Zeit ihren Kolleginnen mehr von sich und ihrem Handicap zu erzählen. So erfuhren die hörenden Kolleginnen, wie sie mit Sandra am besten kommunizieren können.
Es ist es schön zu beobachten, dass bereits kleine Verhaltensänderungen viel bringen und sich Betroffene immer wohler fühlen. Sind eigene hörende Kinder vorhanden, so finden sich oft auch einige Muster in der Familie wieder. Passende Verhaltensänderungen können in Folge auch im täglichen Umgang mit etwaigen eigenen, hörenden Kindern und Angehörigen integriert werden.